Jenseitig? - 29. möwe Fachtagung Wien
Gewaltausübende Kinder und Jugendliche als Auftrag an den Kinderschutz
Grenzverletzungen, Übergriffe und Gewalthandlungen durch Kinder und Jugendliche stellen eine komplexe Realität dar, die Fachkräfte zunehmend vor große Herausforderungen stellt. Zwischen grenzüberschreitendem Verhalten, wiederholter Aggression und strafrechtlich relevanten Taten bewegen sich Fachpersonen in einem Spannungsfeld aus (trauma-) pädagogischem Auftrag, Schutzauftrag und rechtlichen Rahmenbedingungen.
Diese Fachtagung widmet sich dem Thema aus verschiedenen Perspektiven: Inputs aus der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe, Erfahrungen und Einschätzungen aus Kinderschutzzentren sowie Erkenntnisse im Umgang mit jugendlichen Sexualstraftäter*innen bilden die Grundlage für Austausch und Diskussion.
In vielfältigen Workshops beleuchten wir das breite Spektrum aggressiven Verhaltens – von ersten Warnzeichen über strukturelle Risikofaktoren bis hin zu konkreten Präventions- und Interventionsmöglichkeiten. Ziel der Tagung ist es, Fachkräfte zu stärken, Handlungssicherheit zu fördern und ein gemeinsames Verständnis im professionellen Umgang mit gewaltbereiten jungen Menschen zu entwickeln.
Wir freuen uns auf einen anregenden Tag mit fachlichem Input, Reflexion und dem gemeinsamen Ziel: Abholen, Schutz und Entwicklung aller Kinder und Jugendlichen zu sichern – auch derjenigen, die über Grenzen gehen.
Programm
9:00 Uhr Begrüßung
Maga Hedwig Wölfl, die möwe Geschäftsführung und fachliche Leitung
Maga Johanna Zimmerl, die möwe Bereichsleitung Kinderschutzzentren
Günther Ebenauer, die möwe Akademie
9:15 Junge Gewalt – Gewalt durch Kinder und Jugendliche (Vortrag hybrid)
In den Kinderschutzzentren zeigt sich ein Wandel: Während wir nach wie vor in erster Linie Kinder und Jugendliche begleiten, die von Gewalt betroffen sind, begegnen uns zunehmend auch junge Menschen, die selbst Gewalt ausüben. Dabei handelt es sich häufig nicht um klassische Täter*innen, sondern um Kinder und Jugendliche, die selbst in belastenden, oft von Gewalt geprägten Lebensverhältnissen aufgewachsen sind. Ihre Gewalthandlungen stehen nicht selten im Zusammenhang mit eigenen Erfahrungen von Vernachlässigung, Misshandlung oder Überforderung. Frühzeitige, sensible Interventionen sind daher nicht nur ein Beitrag zum Schutz potenzieller weiterer Betroffener, sondern auch eine wichtige Maßnahme zur Prävention langfristiger Gewaltkarrieren.
In diesem Vortrag wollen wir der Frage nachgehen, ob und inwiefern sich Kinderschutzzentren – ursprünglich mit einem klaren Fokus auf den Schutz und die Unterstützung von gewaltbetroffenen Kindern und Jugendlichen – auch für jene Fälle zuständig fühlen (können oder sollen), in denen Kinder und Jugendliche selbst Gewalt ausüben.
Dabei stellt sich nicht nur eine fachliche, sondern auch eine strukturelle und konzeptionelle Herausforderung: Sind Kinderschutzzentren in ihrer bisherigen Ausrichtung auf die Opferhilfe ausreichend vorbereitet, um auch mit gewaltausübenden jungen Menschen zu arbeiten? Oder braucht es neue Denkansätze, Haltungen und Zugänge – auch im Sinne einer präventiven Täterarbeit innerhalb des Kinderschutzes?
Maga Natalie Knapp
10:15 Systemsprenger*innen aus Sicht der Wiener Kinder- und Jugendhilfe (Vortrag hybrid)
Im Zentrum der Fragestellung steht die Stabilität des von Brüchen geprägten Kindes oder Jugendlichen im Sinne des Kinderschutzes sowie die bestmögliche Zusammenarbeit zwischen den Institutionen und deren Angeboten. Durch verschiedene Ausgangspositionen der Hilfesysteme, der Bildungssysteme und der Gesellschaft ergeben sich unterschiedliche Bedürfnisse.
Wie umgehen mit Kindern und Jugendlichen, bisweilen mit Mehrfachdiagnosen, die viele Grenzen sprengen? Was hilft wem? Was wirkt wann und wie? Ein Einblick zum Thema sowie die Frage nach der Indikation von passgenauer Unterstützung, um den betroffenen Kindern und Jugendlichen und ihren Familien bessere Chancen zu sichern.
Gudrun Wildling
11:00 Pause
11:30 Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit sexuell grenzverletzendem Verhalten im Verein Limes (Vortrag hybrid)
Die Arbeit von Limes mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit grenzverletzendem Verhalten wird vorgestellt. Der Verein geht davon aus, dass in der persönlichen Verantwortung des Täters liegt, eine derartige Grenzverletzung zu begehen oder eine solche zu unterlassen. Die Tat wird verurteilt, nicht aber den Täter.
Maga Doris Petek & Yoanna Petrova, BA12:30 Mittagspause
14:00 Workshops
16:30 Ende
Workshops
WS 1 Jugendliche und Online-Gewalt - wie gehen wir Erwachsene damit um?
Ob Ghosting, Cyber-Mobbing oder ein missbräuchlich genutztes Nacktbild - Jugendliche sind mit vielen Formen der Online Gewalt konfrontiert. Doch nicht immer decken sich die Einschätzung der Jugendlichen und Erwachsenen, ob es Gewalt ist und wie man reagieren soll oder muss.
An Hand von konkreten Fallbeispielen werden die Einschätzung und Handlungsoptionen für erwachsene Bezugspersonen diskutiert.
DIin Barbara Buchegger, M.ED.
WS 2 Jugend – Gewalt – Kriminalität – Polizeiliche Ansätze von Prävention bis Repression
Inputvortrag zu polizeilichen Präventionsangeboten - was kann die Exekutive leisten/anbieten und deren praktischer Umsetzung, insbesondere im Zuge von Vernetzungen mit anderen Behörden und Institutionen (Schulen/Kinderjugenhilfe) und NGO´s („Cui bono?“).
Inputvortrag zur polizeilichen (strafprozessualen) Repressionsarbeit mit Unmündigen und Jugendlichen (Herausforderungen – Best Practice Modelle).
Berichte aus der Praxis, Fragerunden, Diskussion.
Chefinspektor Rudolf Herbst, MA
WS 3 Kinderschutz für alle Kinder – auch bei gewaltausübenden Kindern handlungsfähig bleiben
In den letzten Monaten ist die öffentliche und fachliche Diskussion um Kinder und Jugendliche, die selbst Gewalt ausüben – insbesondere solche, die noch nicht strafmündig sind – deutlich intensiver geworden.
Wenn wir von Gewalt sprechen, meinen wir alle Formen: physische, psychische, sexualisierte und strukturelle. Im Fokus steht dabei insbesondere die Gewalt unter Kindern und Jugendlichen – also Gewalt von jungen Menschen an jungen Menschen. Ein Thema, das lange wenig Beachtung fand, nun aber mit wachsender Dringlichkeit in den Kinderschutz, in Schutzkonzepte und in die Fachpraxis gehört.
Ziel dieses Workshops ist es, anhand von Fallbeispielen, Themengruppen und Diskussionsrunden der Frage nachzugehen, ob und wie in einer Opferhilfeeinrichtung auch mit minderjährigen Täter*innen gearbeitet werden kann, welche strukturellen und fachlichen Rahmenbedingungen dafür notwendig sind – und inwieweit sich dies mit der beruflichen Identität von Kinderschützer*innen vereinbaren lässt.
Maga Natalie Knapp
WS 4 „Vom Zähmen der wilden Rabauk*innen“ – Methodenvielfalt in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit aggressiven Verhaltensstörungen
In diesem Workshop werden mögliche Ursachen für externalisierende Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen erörtert sowie evidenzbasierte multimodale Behandlungsansätze vorgestellt. Neben der Behandlung von Kindern und Jugendlichen wird auch auf familienbezogene Interventionen eingegangen.
Ziel des Workshops ist es praktische Tools für den Umgang mit aggressiven Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen zu erarbeiten und Methoden, um sozial-kompetente Verhaltensalternativen aufzubauen sowie Ressourcen zu stärken, vorzustellen.
Maga Bettina Petershofer-Rieder; Jasmin Klackl, MSc
WS 5 “Peergewalt - die ‘Lieblingsgewalt’ Erwachsener und die Rolle der Sexualpädagogik. – Reflexion, Strategien und Alternativen...
Es ist im Kontext der Sexualpädagogik wichtig, Dynamiken von Macht und Gewalt in jugendlichen Gruppen kritisch zu hinterfragen. Sexualität, Identität und Geschlechterrollen spielen häufig eine zentrale Rolle in Peergewalt, aber auch in den Medien und der Gesamtgesellschaft. Übergriffiges Verhalten, sexuelle Belästigung oder diskriminierende Kommentare entstehen oft aus einem Zusammenspiel von Unsicherheit, Rollenbildern und fehlenden positiven Leitbildern. Umso bedeutsamer ist es, die eigene Haltung zu reflektieren und Jugendlichen einen sicheren Raum zu bieten, in dem sie gewaltfreie Kommunikations- und Beziehungskompetenzen entwickeln können. In diesem Workshop möchten wir hinter die Fassade blicken: Was hat Sexualpädagogik mit Peergewalt zu tun? Warum wird Peergewalt so gerne durch Erwachsene thematisiert? Anstatt Jugendliche als Problem(-träger*innen) zu sehen, wollen wir die Dynamiken verstehen, die ihr Verhalten prägen – und erkennen, dass es häufig unser eigenes Handeln oder Unterlassen widerspiegelt, institutionell, familiär, systemisch und strukturell.
DI Philipp Klittich
WS 6 „Extremismus“ – Umgang und Interventionsmöglichkeiten
Der Basisworkshop richtet sich an Multiplikator*innen, die in Ihrem Arbeitsumfeld mit dem Thema Extremismus konfrontiert sind. Das grundlegende Ziel des Basisworkshops ist es, den Extremismus-Begriff breiter zu fassen und in der kritischen Auseinandersetzung einen Perspektivenwechsel zu ermöglichen. Es geht darum, Handlungsspielräume zu erweitern und ein diskriminierungsfreies Miteinander zu fördern. Der Workshop verfolgt einen ganzheitlichen Zugang, der sowohl lokale wie globale Aspekte „des Radikalen“ thematisiert: Seinen Ausgangspunkt nimmt dies in der konkreten Lebenswelt der Akteur*innen im Zusammenspiel mit dem globalen Blick auf soziale, historische, politische und kulturelle Phänomene.
Mag. Dieter Greml
Referent*innen und Workshopleiter*innen
DIin Barbara Buchegger, M.ED.
Pädagogische Leiterin von Saferinternet.at, Vorsitzende des ÖIAT Österreichisches Institut für angewandte Telekommunikation, Studium der Organisationsationsentwicklung in Expert*innenorganisationen, Studium der Landschaftsplanung, Vortragende rund um die Themen „Aufwachsen in der digitalen Welt“, „Nutzung digitaler Medien beim Lehren und Lernen“ sowie „digitale Jugendarbeit“, Konzeption von Weiterbildungsformaten online und offline, Entwicklung von Unterrichtsmaterialien und Ratgebern
Mag. Dieter Greml Psychologe, Trainer, Mediator, Psychotherapeut. Langjähriger Berater und stellvertretender Leiter bei der Beratungsstelle Extremismus. Schwerpunkt: Beschäftigung mit Radikalisierungsprozessen und in Folge mit Möglichkeiten und Wirksamkeiten von Distanzierungsarbeit
Chefinspektor Rudolf Herbst, MA
Leiter des Kriminalreferates im Stadtpolizeikommando Fünfhaus (Zuständig für Bezirke 1140 u. 1150 Wien). Seit 1991 bei der Wiener Polizei; Streifenpolizist bis 2000; Vorgesetztenfunktion seit 2001; Seit 2005 Kriminalbeamter (Landeskriminalamt und Stadtpolizeikommando Fünfhaus). Masterstudium „Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Kriminologie“, Vortragstätigkeit in der Polizeiausbildung im Bereich Strafprozessordnung, Vernehmungstechnik, Gewaltprävention Fußballfans und Korruptionsprävention. Seit 1994 polizeiliche Präventionsarbeit in Schulen (7./8. Schulstufe) – Gewaltprävention Schule; Seit 2023: Projekt „Schwerpunktermittlungen Jugendkriminalität“
Jasmin Klackl, MSc
Klinische Psychologin, Kinder-, Jugend- und Familienpsychologin. Langjährige Mitarbeiterin des Kinderschutzzentrums die möwe Wien, Lehrtätigkeit
Maga Natalie Knapp
Psychotherapeutin und Supervisorin, seit 2008 im Kinderschutzzentrum Innsbruck, Arbeitsschwerpunkt: Kinderschutz, Prozessbegleitung, Schulungen, Psychotherapie
Maga Bettina Petershofer-Rieder
Klinische- und Gesundheitspsychologin sowie Klientenzentrierte Spieltherapeutin. Langjährige Mitarbeiterin des Kinderschutzzentrums die möwe Wien, freiberufliche Tätigkeit in freier Praxis, Lehrtätigkeit
DI Philipp Klittich
Abschluss: Bio- und Ressourcenmanagement der Boku. Mediator, Sexual- und Traumapädagoge sowie traumazentrierter Fachberater, Lebens- und Sozialberatung. Langjähriger Mitarbeiter der möwe Akademie, sowie Referent und Workshopleiter
Maga Doris Petek
Pädagogin der UNI Wien, sowie Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie. Langjährige Mitarbeiterin und Vortragende beim Verein Limes
Yoanna Petrova, BA
Psychologin und Psychotherapeutin. Mitarbeiterin beim Verein Limes
Gudrun Wildling
Kompetenzzentrum für Sucht- und Präventionsfragen/ Kooperation, Qualitätssicherung und Organisationsentwicklung, seit 1990 als Sozialpädagogin tätig, Schwerpunkt Kinder und Jugendliche am Rande der Systeme und der Gesellschaft mit Destruktionsproblemen
Ort der Veranstaltung
Hybridveranstaltung
Urania Wien, Uraniastraße 1, 1010 Wien
und online
die möwe Akademie
0660 618 58 36
tagung@die-moewe.at