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Empowerment gegen Isolation

Monika ist Mutter von zwei kleinen Kindern. Sie lebt mit dem Vater der Kinder zusammen. Alleinerziehend ist sie im Alltag aber schon jetzt, weil der Vater sich kaum um die gemeinsamen Kinder kümmert. Im Gegenteil: manchmal hat sie das Gefühl, dass sie ein drittes Kind hat. Monika bemüht sich, alles richtig zu machen: Das Kleinkind zu Hause versorgen und das ältere Kind in die erste Volksschulklasse bringen, einkaufen, kochen, Windeln wechseln, Wäsche waschen, Arzttermine, am Nachmittag mit ihrem Ältesten Hausaufgaben machen … Von ihrem Mann erhält sie kaum Unterstützung. Im Gegenteil: Er kritisiert sie, ist unzufrieden, hat Probleme in der Arbeit, es gibt Geldsorgen, die Kinder sind zu laut, brauchen zu viel Aufmerksamkeit, er ist eifersüchtig… Monika wird immer unsicherer, fühlt sich erschöpft und reagiert zunehmend gereizt. Irgendwann eskaliert die Situation, er schlägt sie und es gibt die erste Wegweisung. Ein paar Monate später kommt es zu einer zweiten. Monika trennt sich und kommt wieder zurück. Aus verschiedenen Gründen: aus Mitleid, sie will den Kindern den Papa nicht wegnehmen, aus Angst (er droht) oder weil sie nicht weiß, wie sie das alleine mit den Kindern schaffen kann. Monika hat bereits in ihrer Kindheit Gewalt erfahren. Sie hat kaum Ressourcen, mit dieser Situation umzugehen. Sie fühlt sich alleine und überfordert.


Immer öfter haben wir in den Kinderschutzzentren mit Kindern zu tun, die keine sichere Bindung zu einer Bezugsperson entwickeln konnten. Diese Kinder haben Eltern, die die Bedürfnisse der Kinder nicht ausreichend wahrnehmen können. Ihre Eltern sind emotional für die Kinder nicht greifbar. Kinder werden dadurch mit ihren Bedürfnissen und ihren Emotionen alleine gelassen. Das Miterleben von Gewalt bleibt für Kinder nie ohne Auswirkungen. Sie zeigen unterschiedliche Symptome wie z.B. Entwicklungsverzögerungen, emotionalen Rückzug oder Aggressivität, Bindungsproblematik, Ängstlichkeit, Schulschwierigkeiten…

Manche Kinder erfahren auch selbst Gewalt, weil die Eltern mit der Erziehung überfordert sind. Kinder werden angeschrien, geschlagen oder mit Liebesentzug bestraft. Es gibt Kinder, die, wenn man sie nach ihren Bedürfnissen fragt, diese nicht mehr spüren und artikulieren können.

Umso wichtiger ist es, Familien in belasteten Situationen zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erreichen und zu unterstützen, um die Entwicklungsmöglichkeiten und Gesundheitschancen dieser Kinder langfristig zu verbessern. Genau hier setzen wir mit unserem Präventionsangebot der Frühen Hilfen an: Durch Empowerment von Familien in schwierigen Situationen werden Ressourcen der Bezugsperson(en) aktiviert, Belastungen reduziert und die Entwicklung einer sicheren Bindung zum Kind gefördert. Die sichere Bindung ermöglicht es dem Kind, Resilienz zu entwickeln und mit schwierigen Situationen besser umgehen zu können.

Im letzten Jahr wurde die Resilienz vieler (werdender) Familien erneut auf die Probe gestellt. Durch die Pandemie wurden psychische Belastungen, innerfamiliäre Spannungen, existenzielle Sorgen und soziale Isolation weiter verstärkt. Insbesondere Alleinerziehende waren mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert, die es im Rahmen der Frühen Hilfen zu bewältigen galt.

Während der Anteil an Ein-Eltern-Familien im Vergleich zu allen Familienformen in Österreich seit Jahrzehnten konstant bei rund 12% liegt, waren 2021 knapp über 30% der von den Frühen Hilfen begleiteten Familien in Wien alleinerziehend. Oft sind es Mütter wie Monika, die sich mit der neuen Situation (Geburt eines Kindes, Trennung vom Partner, Erziehung der Kinder,…) überfordert und alleingelassen fühlen.

Um der Isolation entgegenzuwirken und den gemeinsamen Austausch zu fördern, haben viele Ein-Eltern-Familien an unseren Gruppenangeboten teilgenommen. Unter Einhaltung strenger Sicherheitsmaßnahmen haben die Gruppen (Babytreff, „Mutterseelen gemeinsam“ für psychisch erkrankte Mütter und ihre Babys, türkischsprachiges Erzählcafé) auch während der Pandemie durchgehend vor Ort stattgefunden. Im Oktober 2021 haben wir außerdem einen virtuellen Runden Tisch zum Thema „Alleinerziehen in Wien: Empowerment gegen Isolation“ veranstaltet. Dabei wurden neue Angebote für Alleinerziehende in Wien vorgestellt und Versorgungslücken aufgezeigt.

Alle, die mit (potentiellen) Ein-Eltern-Familien in belasteten Situationen arbeiten, sind sich einig: Es braucht ein Gesamtkonzept, um Kinder und deren Bezugsperson(en) so früh wie möglich unterstützen zu können. Es braucht niederschwellige Therapieangebote für Kinder und Eltern, kostenlose und kurzfristige Kinderbetreuungsmöglichkeiten, leistbare Wohnmöglichkeiten für Alleinerziehende und vieles mehr. Mit der geplanten flächendeckenden Ausrollung der Frühen Hilfen auf ganz Österreich in den nächsten zwei Jahren ist dabei ein zentraler Schritt passiert, der sich langfristig auch auf die Arbeit und Themen in den Kinderschutzzentren positiv auswirken könnte.

 

Ein Artikel von:

Birgit Wenty
gutbegleitet – Frühe Hilfen Wien

Sacha Hoogenboom
die möwe Neunkirchen

Erschöpfte Mutter sitzt auf dem Sofa im Wohnzimmer