Zum Inhalt Zum Hauptmenü

Kinderschutz im medizinischen Kontext

Das Urteil von 13 Jahren Haft im Prozess gegen den oö. Urologen, der rund 100 Buben im Rahmen von ärztlichen Terminen missbraucht hat, wird von der Kinderschutzorganisation als wichtiges gesellschaftliches Zeichen für den Kinderschutz begrüßt.

„Es zeigt, dass sexueller Missbrauch als Verbrechen gegen Kinder ernst genommen wird“, sagt Mag. Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin der möwe Kinderschutzzentren, „denn dass den Opfern Gehör geschenkt und ihren Erzählungen geglaubt wird, ist leider auch heute noch in Verfahren von Missbrauchsfällen nicht selbstverständlich.“ Immer noch kommt es zu Bagatellisierung und sogenanntem „victim-blaming“ – also dem Umkehren der Schuldfrage auf das Opfer erklärt Wölfl und ortet sowohl im medizinischen als auch im juristischen Bereich noch einiges Aufklärungspotential.

Übergriffe oder sexuelle Gewalthandlungen durch Ärzt*Innen sind besonders perfide, weil sie einen doppelten Vertrauensbruch für die betroffenen Kinder darstellen. Sie brauchen medizinische Hilfe, Behandlung und Empfehlungen -  stattdessen erleben sie einen Übergriff und ein Überschreiten ihrer persönlichen Intimgrenzen. Zum zweiten haben Ärzt*Innen in unserer Gesellschaft ein hohes Ansehen und einen hohen Status, der es auch massiv erschwert, sich zu wehren oder jemand anderen über eine Grenzverletzung zu erzählen. Was auch erklärt, warum es in diesem Fall des Urologen möglich war, dass über so viele Jahre keine Anzeige gegen ihn gestellt wurde.

Das ärztliche Untersuchungssetting - wenn in einem abgeschlossenen Raum alleine zwischen Ärzt*In und Patient*In eine körperliche Untersuchungssituation im Intimbereich durchgeführt wird - ist eine potentielle Risikosituation. Gerade urologische oder gynäkologische Untersuchungen sind Patient*innen oft peinlich, ungewohnt oder mit unangenehmen und immer auch sehr persönlichen und intimen Fragen verbunden.

Wichtig sind aus Sicht der möwe klare und transparente Regelungen in allen Ordinationen. Dazu gehören z.B.

  • Die Anwesenheit einer fachlichen Pflegekraft, einer Assistent*in oder persönlichen Vertrauensperson während der Untersuchung, wenn das der/die Patient*in wünscht
  • Genaue Erklärung, was bei der Untersuchung gemacht wird (vorher, nachher und währenddessen), um damit dem Patienten / der Patientin die Einschätzung der Situation leichter zu machen. Zusätzlich bedeutet das aber auch Sicherheit für den Arzt
  • Der Aushang  von internen Leitlinien, die im Wartebereich kommuniziert werden.
  • Die Bekanntgabe einer „Ombudsstelle“ im Falle von seltsamen Erlebnissen, wie die Patientenanwaltschaft, Wiener Pflege-, Patientinnen- und Patientenanwaltschaft (WPPA), Patientenombudsstelle oder auch Online Bewertungen, wo Patient*Innen ihre Erfahrungen in ärztlichen Praxen vergleichen können.

 

„Medizinisches Personal der verschiedensten Fachrichtungen setzt sich nach wie vor meist zu wenig mit Kinderschutzthemen auseinander“, meint Wölfl und fordert Schulungen im Rahmen jeglicher medizinischer Ausbildung, in der sowohl schützende Rahmenbedingungen erarbeitet werden als auch der Umgang mit betroffenen Kindern und Jugendlichen geschult wird.

Die oftmals gestellte Frage, welche Prognosen sie für die Betroffenen des aktuellen Falles hat, beantwortet die Psychologin so: „Wir wissen aus vielen Studien, das sexueller Missbrauch und psychische Gewalt in der Kindheit und Jugend langfristige Folgen wie Identitätskrisen, selbstverletzendes Verhalten, Depression, Beziehungsstörungen bis hin zu erhöhtem Suizidrisiko bewirken können. Die gute Nachricht aber ist, dass viele Kinder trotz belastender Erfahrungen eine gesunde Entwicklung machen können. Wichtig ist eine Stabilisierung durch Prozessbegleitung und die rechtzeitige Ermöglichung der Verarbeitung durch professionelle psychologische Hilfe in einem Kinderschutzzentrum.“ Jetzt brauchen sie erstmals Zeit und Normalität, um mit dem Erlebten zurechtzukommen.

Datum
19.06.2020
Kontakt
Veronika Schiller
die möwe

schiller@die-moewe.at
01 532 14 14 713